Lausanne (wwot/FAI) – Der 19. März 2015 ist ein besonderer Tag in der Geschichte der Raumfahrt. Genau heute vor 50 Jahren unternahm der russische Kosmonaut Alexei Leonow den ersten Spaziergang im Weltraum.
Am 19. März 1965 stieg Leonow aus der sowjetischen Raumkapsel „Woßchod-2“ aus und blieb insgesamt 23 Minuten und 41 Sekunden im Weltraum. Frei schwebte er zwölf Minuten und neun Sekunden lang im Kosmos. Dies wurde von der FAI als Weltrekord in der Kategorie „Extravehicular duration in space“ (Dauer des Aufenthalts im Weltraum außerhalb eines Raumschiffs) anerkannt.
Zu jener Zeit steckte die Weltraumforschung noch in den Kinderschuhen, und die Woßchod-Mission war ein außergewöhnlicher technologischer Fortschritt. Aber ganz so einfach, wie es in den Unterlagen zu diesem Weltrekord geschildert wird, verlief Leonows Ausflug ins All nicht, es traten viele Probleme auf. So hatte er große Schwierigkeiten, wieder zurück in die Kapsel zu gelangen.
Die packende Geschichte des ersten Weltraumspaziergangs erzählt der Kosmonaut in einem Interview, das er der FAI anlässlich des Jahrestages seines Weltrekords gegeben hat. Unter anderem erläutert Leonow die Hintergründe seiner Karriere als Kosmonaut, seine Aufnahme in die Woßchod-2-Mission und seine Ansichten über die Zukunft der Raumfahrt. Das Interview konnte dank der freundlichen Unterstützung von General Wladimir Iwanow, dem Präsidenten des russischen Luftsportverbands, geführt werden.
„Ich war restlos begeistert!“
Was hat in Ihnen den Wunsch geweckt, Kosmonaut zu werden?
Nach dem erfolgreichen Start des ersten künstlichen Erdsatelliten am 4. Oktober 1957 nahm Sergei Koroljow in seinem Konstruktionsbüro die Entwicklung eines bemannten Raumschiffs auf. Im Jahr 1958 erhielt das Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin den Auftrag, die Anforderungen an die Besatzung zukünftiger Raumschiffe aufzustellen.
Wer sollte der erste Kosmonaut werden?
Sergei Pawlowitsch Koroljow schlug vor, dass der erste Kosmonaut beziehungsweise Kommandeur des Raumschiffs ein ausgebildeter Kampfpilot sein sollte. Dieser Beruf ist am besten für die hohen Belastungen geeignet, die die Steuerung eines Raumschiffs mit sich bringt. Eine einzige Person muss die Aufgaben eines Copiloten, eines Bordingenieurs und Funkers übernehmen, und Beschleunigungskräfte von 10 g und mehr aushalten. An dem Programm nahmen über 3.000 Jagdbomberpiloten teil, die unter sämtlich denkbaren Flugbedingungen, bei Tag und Nacht, getestet wurden. Weitere Anforderungen waren: Höchstalter 30 Jahre, einwandfreie Gesundheit und eine Größe von höchstens 175 cm. Schließlich wurden zwanzig Piloten ausgewählt – die sogenannte „Gagarin-Auswahl“.
Welche Eigenschaften mussten die Kosmonauten mitbringen, um in die Weltraum-Mission und die Mannschaft von „Woßchod-2“ aufgenommen zu werden? Gibt es Unterschiede bezüglich der Eigenschaften, die heutige Kosmonauten für Weltraumflüge besitzen müssen?
Bei der Zusammenstellung der Mannschaft wurde für einen erfolgreichen Außenbordeinsatz besonders auf die psychologische Belastbarkeit, hohe körperliche Fitness, Ausdauer, eine exzellente technische Ausbildung, Kenntnisse über die Navigation im Weltraum und die Arbeit im Raumanzug geachtet. Heute müssen alle Kosmonauten im Rahmen der Vorbereitung eines Weltraumflugs auch Außenarbeiten am Raumschiff üben. Die einzigen Abweichungen gegenüber früheren Anforderungen betreffen das Sehvermögen, es werden auch Brillenträger zugelassen, das Gebiss und das höhere Alter.
Warum wurden gerade Sie unter den Mitgliedern der Mannschaft für den „Weltraumspaziergang“ ausgewählt?
Bei den Beratungen über den Kandidaten für den ersten Außenbordeinsatz im Weltraum wurde ich von Sergei Pawlowitsch Koroljow vorgeschlagen. In seinem Beitrag nannte er meine hohe körperliche Eignung, meine hervorragenden Kenntnisse der Raumfahrttechnologie und meine außerordentliche Begabung als Pilot. Er erwähnte sogar, dass ich Malen als Hobby hatte. Der Ausschuss war mit ihm einverstanden. Bei der Besichtigung der „Woßchod-2“ beauftragte mich Sergei Pawlowitsch mit der Überprüfung der Verwendung einer Luftschleuse für den Außenbordeinsatz. So wurde ich für den Ausstieg ins offene Weltall an erster Stelle gesetzt.
Können Sie den Moment beschreiben, in dem Sie als erster Mensch einen „Weltraumspaziergang“ unternahmen und dann wieder in die Kapsel zurückkehren mussten? Wie fühlten Sie sich? Hatten Sie Angst?
Und die Erde ist doch rund! Ich war restlos begeistert. Im ersten Moment erblickte ich das Schwarze Meer mit der Halbinsel Krim. Ich drehte meinen Kopf nach links und sah Rumänien, Bulgarien, am Horizont den italienischen Stiefel, ich hob meinen Kopf und sah die Ostsee und das Frische Haff, das ich seit meiner Kindheit kenne. Die Sterne waren links, rechts, unten, oben, die Sonne sehr hell, ich fühlte die Hitze auf den Teilen des Gesichts, die nicht durch einen Lichtfilter geschützt wurden, sah den schwarzen Himmel und merkte, dass es absolut still war. Ich zog die 5,5 m lange Sicherheitsleine heraus, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben und stieß mich leicht vom Rand der Luftschleuse ab. Plötzlich reagierte das Raumschiff und fing an, sich langsam um den Massenschwerpunkt drehen – das war nicht geplant. Ich hätte in das Antennenfeld geraten können, die Sonne veränderte ihre Lage, ich sah sie nicht mehr von vorn, sondern im Gegenlicht. Sie sah aus wie eine Scheibe, die in den schwarzen Himmel gerammt worden war. Die Sterne in der Nähe der Sonne waren nicht sichtbar, aber in einem Abstand von 30 Grad konnte ich sie gut erkennen, es waren viel mehr, als von der Erde aus zu sehen sind. Sogar Sterne sechster Größe ließen sich beobachten. In der achten Minute meines Spaziergangs im Weltraum merkte ich, wie sich das Volumen meines Raumanzugs veränderte. Die Handschuhe blähten sich auf, sodass meine Finger keinen Halt mehr hatten, und meine Füße baumelten frei in den Stiefeln umher. Entscheidend war jedoch, dass ich den Auslöser für den Fotoapparat, der sich an meiner rechten Hüfte befand, nicht mehr erreichen konnte. Auf der Erde hatte ich bei Flügen in simulierter Schwerelosigkeit mit dem Auslöser ganz einfach fotografieren können. Ich entfernte mich etwas von der Kapsel und kam ihr wieder näher und ging in Gedanken das Programm auf einen Hinweis durch, wie ich in diesen Handschuhen und mit nur einer Hand die 5,5 m lange Sicherungsleine aufrollen sollte. Alle 50 cm waren an der Leine Ringe mit 2,5 cm Durchmesser befestigt, und diese Ringe mussten auf einen Haken geschoben werden. Nach fünf Minuten würden wir in die Dunkelheit eintreten, und es gab keine Außenbordbeleuchtung. Mit der rechten Hand nahm ich die Box mit der Fernsehkamera vom Schwenkarm ab, hielt mich mit der anderen Hand fest und begann meinen Einstieg in die Luftschleuse zunächst mit den Beinen, so wie wir es bei der Ausbildung während eines Flugs in der Schwerelosigkeit gelernt hatten. Nach zwei Versuchen wurde mir klar, dass dies nicht funktionieren würde. Ich berechnete die verbleibende Zeit, in der noch genügend Licht und Sauerstoff zur Verfügung stand und entschied, den Luftdruck im Raumanzug auf 0,27 atm zu senken – durch den Unterdruck würde der Stickstoff in meinem Blut beginnen, Blasen zu werfen, aber ich hatte keine Wahl. Vom Chefkonstrukteur hatte ich die eindeutige Anweisung erhalten, die Bodenstation über alles, was ich tat, zu unterrichten, und natürlich traf dies auch auf so eine wichtige Entscheidung wie die Verringerung des Luftdrucks im Raumanzug zu. Ich widersetzte mich dieser Anweisung und erstattete der Bodenstation keinen Bericht, denn ich wollte weder Panik hervorrufen noch zu viele Fragen aufkommen lassen. Es konnte mir sowieso niemand helfen. Nachdem ich den Luftdruck verringert hatte, spürte ich eine große Erleichterung. Allerdings änderte ich das geplante Vorgehen und begab mich nicht mit Füßen und Beinen zuerst in die Luftschleuse, wie wir es trainiert hatten, sondern mit dem Kopf. Das klappte, aber dafür wurde es in der Schleuse kompliziert. Denn ich musste mich noch komplett umdrehen, um den Verschluss der Ausstiegsluke zu prüfen und mit den Füßen zuerst ins Raumschiff zurückzukehren. Bei diesen Vorgängen achtete ich ständig darauf, dass die Fernsehkamera nicht aus der Schleuse ins Weltall fiel.
An welches Detail der Woßchod-Mission erinnern Sie sich 50 Jahre nach diesem historischen Ereignis am besten?
Am deutlichsten bleiben mir die absolute Stille, das Klopfen meines Herzens und mein angestrengtes Atmen in Erinnerung.
Haben Sie auch andere Pioniere der Raumfahrt wie Neil Armstrong oder Buzz Aldrin getroffen? Haben Sie mit Ihnen über Ihre gemeinsamen Erfahrungen gesprochen? Gab es überhaupt gemeinsame Erfahrungen?
Alle Astronauten der Programme Mercury, Gemini, Apollo, Skylab und auch einige Kommandeure des Space Shuttle sind mir gut bekannt. In den letzten 45 Jahren hatte ich eine besonders enge Beziehung zu Tom Stafford, Vance Brand und auch zu Alan Bean, der nicht nur Astronaut war, sondern auch ein bemerkenswerter Künstler und Kosmist. Besonders mit Buzz Aldrin und dem wunderbaren Neil Armstrong verstand ich mich auf Expertentreffen immer sehr gut. Kurz vor Neils Tod nahmen wir gemeinsam am internationalen Starmus-Festival auf den Kanaren teil. Wir leiteten gemeinsam eine Gesprächsrunde. Ungeachtet möglicher politischer Schwierigkeiten konnten wir mit den Amerikanern immer hervorragende Fachgespräche führen, und daran hat sich bis heute nichts geändert!
In welchen Bereichen wird sich die Raumfahrt weiterentwickeln?
Es wird weiterhin Flüge zur ISS geben, und die Mannschaften werden zukünftig bis zu einem Jahr auf der Station bleiben. In zwei bis drei Jahren werden chinesische Taikonauten mit ihrem eigenen Raumschiff zur ISS fliegen können. Und langsam wird in den USA, in Russland und besonders intensiv in China wieder an Mondlandungsprogrammen gearbeitet. China wird wahrscheinlich als zweites Land eine Mondlandung vollbringen. Und es wird an einer möglichen Marslandung gearbeitet, aber vor dem Jahr 2035 wird es wohl keinen Marsflug geben, wenn man bis dahin weiterhin friedlich auf dieser Erde leben kann.
Was ist Ihrer Meinung nach der nächste große Traum der Raumfahrt? Vor welchen neuen Herausforderungen steht die Raumfahrttechnik?
Wir haben bereits gelernt, im Orbit medizinische Präparate mit Eigenschaften herzustellen, die man unter Produktionsbedingungen auf der Erde nicht erzielen kann. Wir haben es geschafft, Kristalle mit perfektem geometrischen Raster zu produzieren, zum Beispiel Galliumarsenid, das in der Elektronikindustrie sehr gefragt ist. Zurzeit können wir noch keine industrielle Produktion dieser Materialien aufnehmen, und zwar nicht nur wegen der geringen Leistungsfähigkeit der Spezialgeräte, sondern auch wegen des Mangels an der erforderlichen Zeit in reiner Schwerelosigkeit. Die ständige Anwesenheit von zwei bis drei Mannschaften an Bord der ISS erzeugt Vibrationen, und daher kann das technologische Verfahren zur Herstellung der erforderlichen Muster nicht einwandfrei durchgeführt werden. Die ISS sollte als ein Modul zur Unterbringung der Mannschaft und zur Durchführung von Experimenten genutzt werden, für die keine reine Schwerelosigkeit erforderlich ist. Hierzu zählen Gebiete wie Astronomie, Astrophysik, Geophysik sowie die medizinische und biologische Forschung. Rund um die Station werden in geringer Entfernung Produktionsmodule fliegen, auf denen sämtliche Verfahren, die wir bereits beherrschen, automatisch ablaufen. Die Besatzung der ISS muss diese „Fabriken“ mit Rohstoffen beliefern, die fertigen Produkte entnehmen und sie regelmäßigen Prüfungen unterziehen. Und der Mars ist ein Ziel, das die Menschheit weiterhin vor Augen hat.
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