Mississippi (wwot) – Amerika ist das Land der – manchmal übertriebenen – Superlative. Wenn man vom Mississippi spricht, sind sie allerdings angebracht. Er ist groß und breit. Auch lang. Und er braucht viel Bewegungsfreiheit. Denn ab und zu schlägt er über die Stränge, sprich: verlässt er das gewohnte Bett, findet neue Wege und setzt große Gebiete unter Wasser. Er bietet Tieren Quartier und Nahrung, er sorgt für fruchtbares Ackerland, er ist ein wichtiger Transportweg. Dafür gibt es natürlich Zahlen. Doch die sollen jetzt hier nicht genannt werden. Denn sie können die Faszination dieses großen Stromes ohnehin nur unzureichend wiedergeben.
Weil der Mississippi so viel Bewegungsfreiheit braucht, ist es gar nicht einfach, an ihn heranzukommen. Eine schöne Stelle ist zum Beispiel der „Tom Saywer RV Park“ (siehe: Tom Sayer ganz nah). Von dort an wollten wir dem „Ol’ man“ Richtung Süden folgen. Aber es gibt keine Panoramastraße wie am Rhein, keinen schönen Weg mit Blick aufs Wasser wie an der Mosel. Die meisten Straßen reichen nicht direkt an den Fluss – eben weil dieser öfter über die Stränge schlägt.
Doch es gibt die „Great River Road“. Ein Verbund von Straßen, der den Strom auf beiden Seiten begleitet. Es war nur eine Erwähnung im DuMont-Reiseführer*, die uns auf die Spur dieser Straße führte. Leider gab es keine Internet-Adresse, so dass wir ein wenig recherchieren mussten. Selbst dann war es nicht einfach, die Straßen zu finden – trotz der speziellen Schilder, die an der Route angebracht sind. Manchmal kamen wir vom Wege ab – aber diese Abstecher bescherten uns ganz spezielle Einblicke, zum Beispiel in Wohngebiete, die man bei ausschließlicher Benutzung der Hauptstraßen nicht zu Gesicht bekommt und die die Kehrseite des amerikanischen Way of Life zeigen. Die Schwarzen, die am Straßenrand lungern, könnten jene sein, die das Lied vom „Ol’ Man River“ singen:
Here we all work ‚long the Mississippi
Here we all work, while the white boys play
Gettin‘ no rest from the dawn till the sunset
Gettin‘ no rest till the judgment day
Old Man River, Old Man River
He don’t say nothin‘, he must know somethin‘
Old Man River, he just keeps rollin‘ along
Stundenlang könnte man am Ufer stehen und zuschauen, wie sich die Wassermassen in ihrem breiten Bett grau-braun in Richtung Golf von Mexiko bewegen. Gigantisch – dieser Begriff schießt einem immer wieder durch den Kopf. Auf eine spezielle Weise gilt das auch für die Landschaft. Immer wieder ist es sumpfig am Straßenrand und wir erwarten fast, jeden Moment einen Alligator auftauchen zu sehen. Dann wieder säumt Ackerland beide Seiten der Straße: Platt, platter als die Marsch, und ein Ende der Felder ist oft nicht sichtbar. Riesige Bewässerungsgeräte stehen am Rand. Wozu, fragen wir uns. Denn Wasser gibt es hier doch reichlich.
„Lower Mississippi Delta Region“ nennt sich das Gebiet, das wir durchfahren haben. Oder einfach: Mississippi Delta – das jedoch nicht zu verwechseln ist mit der Mündung, die auf Englisch „Mississippi River Delta“ heißt. Es ist fruchtbares Schwemmland. Hier wird und wurde Baumwolle angebaut – darum gibt es hier nach wie vor viele Schwarze. Und darum entstand hier der Blues. Heute sind Welszucht, Reis- und Soja-Anbau, aber auch zunehmend der Tourismus wichtige Einnahmequellen. Letztere könnte allerdings ein paar Verbesserungen gebrauchen, wie zum Beispiel gute Karten der Straßen, mehr Informationen und vor allem besser sichtbare Hinweisschilder. Aber egal, wir hatten Zeit, Wolf stellte den Tempomat auf 55 Meilen und der Coachman-Camper schnurrte vor sich hin.
Man könnte die Fahrt als eintönig bezeichnen: Rechts plattes Land, links plattes Land. Bestellte Felder, unbestellte Felder. Ab und zu sumpfiges Gelände, abgestorbene Bäume. Die Farmhäuser liegen gut sichtbar auf dem Gelände, nur selten von schützenden Bäumen umgeben. Die können wirklich tagelang vorher sehen, wenn Besuch kommt. Wir kamen auch durch Städte oder in die Nähe von Städten, die durchaus Interessantes zu bieten haben: Greenwood beispielsweise hat das Blues Heritage Museum zu bieten. Und in Greenville wurde Jim Henderson geboren, der Erfinder der Muppet-Figuren. Unser mitreisendes Maskottchen Kermit quengelte zwar ziemlich und wollte sich das unbedingt anschauen, aber wir wollten weiter. Ein Foto vor dem Stadt-Schild musste ausreichen.
Uns stand der Sinn nach einem Schlachtfeld: Vicksburg lag auf unserer Route, dort fand 1863 während des Bürgerkrieges eine entscheidende Schlacht statt. Hier liegt am Fluss-Ufer auch ein Raddampfer – allerdings kein fahrender. Es ist ein Casino-Bau, das wie eines der legendären Schiffe aussieht. Was uns jedoch viel mehr verblüffte, war die Topographie. Nach stundenlanger Fahrt durch das platteste aller platten Länder tauchten unvermittelt schroffe Felsen auf, türmten sich am Straßenrand, ließen Straßen steil in den Himmel ansteigen. So unvermittelt hatten wir das noch nie erlebt. Sabine Sopha
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Info:
Web-Site: Great River Road
Lektüre:
- Reiseführer: Axel Pinck, „USA Südstaaten“, DuMont Reise-Handbuch
- Klassiker: Mark Twain, „Die Abenteuer des Tom Saywer und Huckleberry Finn“ / „Leben auf dem Mississippi“, verschiedene Ausgaben und Übersetzungen
- Klassiker: Friedrich Gerstäcker, „Die Flusspiraten des Mississippi“
- Krimi: James Burke, „Mississippi Jam“, Pendragon Verlag, deutsche Erstausgabe 2016
- Der Bundestaat Mississippi ist die Heimat des Literaturnobelpreisträgers William Faulkner. Viele seiner Romane spielen in einem fiktiven Yoknapatawpha County, das im Hügelland von Mississippi liegt. Auch der in Arkansas geborene Bestsellerautor John Grisham lebt seit seiner Kindheit in Mississippi, viele seiner Geschichten spielen im fiktiven Ort Clanton im ebenfalls fiktiven Ford County, Mississippi. (Quelle: Wikipedia)
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