Jurbarkas (wwot) – Knapp 700 Kilometer beträgt die Nordausdehnung, breit von West nach Ost ist das Baltikum maximal 400 Kilometer. Eine überschaubare Fläche, die sich Litauen, Lettland und Estland ein wenig einquetscht zwischen Weißrussland, Russland und einem Zipfelchen Polen, an der Ostseeküste teilen müssen.
Und obwohl die wwot-Redakteure seit etlichen Jahren das Baltikum regelmäßig kreuz und quer bereisen, ist ihnen die litauische Memelregion zwischen Kaunas und dem Kurischen Haff erst so richtig in diesem Jahr unter „die Räder“ gekommen. Eine interessante Begegnung jedoch, in überaus schöner und natürlicher Landschaft.
Mindaugas Kairys, der evangelische Pastor aus Jurbarkas hatte, ohne es zu wollen, im letzten Jahr eine falsche Fährte gelegt. Wir hatten uns damals ursprünglich in Kaunas verabredet, da ich wie selbstverständlich annahm, dass diese Großstadt in Zentral-Litauen sein Dienstsitz als Leiter des Diakonischen Werks in der kleinen Balten-Republik sei. Ich kann mich kein Stück daran erinnern, was die Ursache für diese Vermutung war, ich fuhr jedoch ohne jedwede Selbstzweifel an einem Freitag mit dem Phoenix von Tallinn nach Kaunas, um mich dort mit Pastor Kairys zu verabreden, den ich nur kurz und einige Wochen zuvor während einer Projekt-Konferenz in Riga kennengelernt hatte. Am Sonntag telefonierten wir schließlich und ich erfuhr dann auch, dass ich Montagfrüh direkt zum Besuch eines Jugend-Sozialprojekts nach Skirsenume fahren solle, also etwa 70 Kilometer in westliche Richtung an der Nemunas entlang, wie die Memel heute von den Litauern genannt wird.
Schon einige Kilometer vor Seredzius war ich völlig baff ob der traumhaften Landschaft links und rechts der Memel, die aus weitem Schwemmland und steil ansteigenden Klevhängen mit Wald oder kleinen Ortschaften besteht. Und kurz vor Skirsenume tauchte beim Ort Siline dann auch noch ein Hinweisschild auf den Campingplatz Medaus Slenis auf, das bedeutet so viel wie Honigtal, und ein paar Minuten reichten, um sich nach einem Blick auf das Campinggelände darüber klar zu sein: Da muss es unbedingt mal mit dem Wohnmobil hingehen.
Wie auch immer, es galt es die beruflichen Pflichten in Skirsnemune, Jurbarkas (dort ist Mindaugas Kairys nämlich Gemeindepastor), in Kretinga und auch in Vyziai zu erfüllen, denn dort gibt es etliche soziale und medizinische Kooperationsprojekte (Link), die mit Hilfe des Diakonischen Werks in Schleswig-Holstein und der Soziallotterie „Aktion Mensch“ gefördert und organisiert werden, und meines Besuchs zur Produktion einer Dokumentation über die dortigen Entwicklungen bedurften.
Klar war aber auch, bei meinem nächsten privaten oder beruflichen Aufenthalt an der Memel werde ich wieder nach Medaus Slenis fahren und dort ein paar Tage verweilen. In der letzten Woche war es schließlich soweit und ich konnte an einem späten Nachmittag über den schmalen Waldweg hinter dem Camping-Wegweiser in Siline Richtung Honigtal einfahren.
Der Platz ist ein Gedicht. Eine herrlich großzügige Waldlichtung mit einem Blick Richtung Memel, im Grunde unparzelliert, mit allem was Camping schön und angenehm macht ausgestattet, wie gute Sanitäranlagen, praktikable Ver- und Entsorgung, Stromanschlüsse, Spielplätze für Kinder und weite Landschaft zum Wandern und radeln. Betreut wird der Platz von Imker Ovidijus Jasinskas (49) und Tochter Justé Jasinskaite (24), die eigentlich rund um die Uhr für die Gäste auf dem Campingplatz oder den Ferienhütten oder -wohnungen der Anlage zur Verfügung stehen. Die Beiden können einen schließlich auch nicht nur mit erstklassigem Honig, sondern auch mit wertvollen Tipps für einen schönen Ferienaufenthalt an der Memel versorgen.
Tatsächlich liegt der Campingplatz direkt am Beginn des Memel Naturparks, dessen Hauptquartier mehr oder weniger direkt an der Einfahrt zum Campingplatz in einem sehenswerten Holzhaus untergebracht ist. Auch dort gibt es viele Tipps für einen gelungenen Urlaub.
Von Siline bis etwa nach Seredzius, also etwa über 30 Kilometer, reicht der Naturpark an der mittleren Memel, also noch weit bevor sie bei Smalininkai zum Grenzfluss des Oblast Kaliningrad wird. Smalininkai ist übrigens der einstige deutsche Ort Schmalleningken, der nördlichste Ort Ostpreussens, der vor dem Zweiten Weltkrieg zum Kreisgebiet von Tilsit gehörte. Wegen seiner Lage nördlich der Memel gehört Smalininkai daher heute zu Litauen.
Die mittlere Memel-Niederung ist eine wunderschöne Landschaft, geprägt von herrlicher Ruhe, vom sanft strömenden großen Fluss, von geringer Siedlungsdichte, von weiten wildbewachsenen Überschwemmungsschwächen und von kleinen historischen Ortschaften mit netten und gastfreundlichen Menschen. Der Tourismus erwächst hier erst so langsam, sprießt in bemerkenswerter Form bislang nur an wenigen Orten und da bevorzugt an der Küste auf. Litauen, wie aber auch Lettland und Estland, sollte man jetzt erleben, so lange die Landschaft noch so ursprünglich und schön geblieben ist. Wolfgang Henze
[mapsmarker layer=“4″]
Kommentar hinterlassen