Indianapolis/Sehestedt (wwot) – Camping hat in Europa überwiegend doch den Ruf einer eher kleinbürgerlichen Freizeitbeschäftigung. Oft werden Freizeitfahrzeuge und Campinganlagen diesem Klischee auch gerecht. Das ist in den USA völlig anders, denn dort gibt es weder mentale Abgrenzungen zwischen den Fahrzeugtypen, noch bemüht sich irgendjemand um die Deutungshoheit, was denn eigentlich Camping sei. USA-Camper nutzen den für sie optimalen Fahrzeugtyp, der eben ihren Ansprüchen und dem Scheckbuch am ehesten gerecht wird. Und überaus sehenswert sind die amerikanischen Recreation Vehicles allemal.
Es war einer Frischwasser-Leckage am gemieteten Motorhome zu verdanken, die uns zwangsweise zu einem Werkstattstop veranlassen musste. Und dieser führte zu einem großen Camping-Händler in der Nähe von Indianapolis, auf dessen Gelände so ziemlich alles an Freizeitfahrzeugen zu sehen war, was auf den Straßen in den USA rumfährt oder dort auf den Campgrounds zu sehen ist. Um langweiliger Warterei zu entgehen, aber auch weil uns die Neugierde trieb, machten wir uns schließlich auf den Weg, den Neu- und Gebrauchtfahrzeugpark von Mount Comfort RV in Greenfield mal so richtig unter die Lupe zu nehmen. Und dass dies ein voller Erfolg wurde ist vor allem Jay Tatman zu verdanken, Mitglied der Verkaufsabteilung und selbst Motorhome-Eigner, der uns überaus sachkundig und geduldig durch die riesige Ausstellung führte.
Vorab sollte man wissen, dass Freizeitfahrzeuge (Recreation Vehicle oder RV) in den USA wie folgt klassifiziert werden: Es gibt Motorhomes der Klassen A, B und C, Pop Ups, Park Models oder Destination Trailer, Travel Trailer, Fifth Wheeler, Toy Hauler Travel Trailer, Toy Hauler Fifth Wheeler, Truck Campers und last but not least auch noch Zelte.
Die Wohnmobile unterscheiden sich den Klassen nach grob in A (Vollintegrierte), B (Kastenwagen) und C (Teilintegrierte und Alkoven-Wohnmobile). Pop Ups sind Klappwohnwagen und Park Models im Grunde Mobilheime. Ein Travel Trailer ist ein Caravan, und ein Fifth-Wheeler ist ein Sattelauflieger zum Reisen, der üblicherweise auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks angekoppelt wird. Toy Hauler Travel Trailer und Toy Hauler Fifth Wheeler entsprechen den genannten Modellen, verfügen jedoch über eine „Garage“, die meist dem Transport von Big Bikes, also fetten Motorrädern, dient. Die Fifth-Wheeler bieten dabei im abgekoppelten Zustand den Vorzug, dass man unter dem vorderen Auflieger-Teil Motorräder mehr oder weniger wettergeschützt abstellen kann. Na ja, und Truck Camper sind Pick Ups mit Aufsetzkabine.
Soweit, so gut. Faszinierend ist, dass all diese Fahrzeuge in Small oder XXXXL-Ausführungen verfügbar sind und auch genutzt werden. Völlig klar, in den USA geht die Tendenz eher zu letzterer Variante. So sind beispielsweise Fifth-Wheeler bis 13 Meter Länge auf dem Markt, und XXL-Wohnmobile mit rund 12 Metern Länge oft zu sehen. Bis zu fünf Slideouts haben diese Mega-Mobile, damit lassen sich locker bis zu rund 45 Quadratmeter Wohnflächen realisieren, wobei es sogar Fifth-Wheeler mit ausklappbaren Terrassen gibt. Tendenziell werden dabei Fifth-Wheeler oft von Menschen genutzt, die ausschließlich darin leben, damit von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz fahren und meist auf Campingplätzen, oft in abgeteilten Arealen, leben.
Die Class A-Motorhomes bewegen sich überwiegend in einer Längenkategorie von neun bis zwölf Metern, die Qualitätsspanne -und natürlich auch die Preisunterschiede- ist jedoch gewaltig.
Class A-Motorhomes werden vor allem danach unterschieden, ob sie über einen Benzin- oder Dieselantrieb verfügen. „Diesel heißt“, so Jay Tatman, „es wird gleich alles teurer.“ Tatsächlich werden große vollintegrierte Wohnmobile vergleichsweise günstig auf Transportergestelle mit Front-V 8 oder V 10-Benzinmotoren gesetzt, oder aber in der Premium-Klasse auf Busfahrgestelle mit einem Riesen-Antriebsdiesel im Heck, sogenannte Diesel-Pusher, aufgebaut. Und daher gibt es zwölf Meter lange Wohnmobile in den USA schon ab rund 160.000 Dollar, im Premium-Segment aber durchaus auch für 600.000 bis 800.000 Dollar, wohlgemerkt, wir reden von der Massenproduktion. Dass es natürlich custom-build-Motorhomes preislich ohne Obergrenzen gibt, ist ja auch in Europa völlig normal.
Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Nun ja, mit großer Überzahl sind die RV in den USA im Wohnbereich Richtung „Moor-Eiche brutal“ gestaltet, stylische Einrichtungen sind eher selten, aber zwei bis drei Fernseher, XXL-Kühlschrank mit Eiswürfelbereiter, Gäste-Toiletten, elektrische Kaminecken, Waschmaschine und Trockner, Mikro-Wellen, als das ist in der XXL-Klasse eher Standard.
However, wir finden die Riesen-RV´s schon spannende, denn sie bieten Raum ohne Ende, wie auch die Verkehrsflächen in den USA Raum ohne Ende bieten. Es passt sozusagen alles zusammen. Weniger verständlich ist, dass die Fahrzeuge innen und außen vergleichsweise lauter als europäische sind. Das ist insofern bemerkenswert, als dass die us-Fahrzeuge querschnittlich wohl länger in Nutzung stehen als europäische, da mobiles Leben in den USA eben normaler als in Europa ist.
Wir mögen die Riesen-Dinger durchaus, vor allem bieten die Fifth-Wheeler bemerkenswerte Raumkonzepte an, würden in Europa aber wohl an den eher beengten Verkehrsverhältnissen, allemal auf Campingplätzen, scheitern. So gesehen liegt Camping in Europa und Camping in den USA mehr als meilenweit auseinander. Wir sind jedenfalls Jay Tatman sehr dankbar, dass er uns einen umfassenden Einblick in die amerikanische RV-Szene gegeben hat. Wolfgang Henze
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