Weißkohl für Berlin: Die zwei Welten des Marco Weber

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Kalt und windig ist es, erst kürzlich haben die Böden das letzte Eis abgeschüttelt, ein paar schmuddelige Schneewehen zieren Ackerränder und Knicklinien. Streifen für Streifen pflügt Jan Averhoff mit einem bullenstarken Fendt-Traktor den riesigen Weißkohl-Acker. Spät dran ist er mit der Aussaat, genau so wie seine Kollegen; lang war der letzte Winter, die Lagerhallen sind fast leer, neuer Weißkohl muss spätestens ab Juni auf den Markt: Nur, gut Ding will Weile haben.

Marco Weber (links) und Landwirt Jan Averhoff verhandeln gerne mit einer Mug Kaffee in der Hand. Fotos Henze/Sopha
Marco Weber (links) und Landwirt Jan Averhoff verhandeln gerne mit einer Mug Kaffee in der Hand. Fotos Henze/Sopha

Am Feldrand wartet ein junger Mann, eher städtisch die Anmutung und gelassen die Haltung. Jan Averhoff stellt den Diesel ab und begrüßt Marco Weber, mit dessen Pkw die Beiden schließlich zur Nachmittagspause Richtung Barlt fahren. Kerstin Averhoff, des Bauern Gattin ist vorbereitet; Kaffee und Kuchen stehen bereit, in fröhlicher Atmosphäre wird über den langen Winter und die kommende Ernte palavert, über Preise, über Gewinnspannen und über dies und das.

Jan Averhoff pflügt
Jan Averhoff pflügt

Marco Weber ist Gemüsegroßhändler in Dithmarschen, einer von mehreren natürlich, aber auf dem Berliner Großmarkt ist er der Kohlkönig schlechthin, sorgt mit ein paar Mitarbeitern beinahe im Alleingang dafür, dass die deutsche Bundesmetropole auch nach einem langen Winter keinem Kohlnotstand entgegengeht.

Rund 250 Trucks mit Dithmarscher Kohl und anderem Gemüse setzt Weber jährlich gen Berlin in Fahrt, das Ziel ist immer die Beusselstraße 44 N bis G, in der Halle 101 ist der Fruchthof untergebracht. Dort lädt Marco Weber zusammen mit Mitarbeiter Nuri Erberber das dithmarscher Gemüse ab. Fertig konfektioniert wird es mengenexakt für die rund 50 Kunden vor deren Gittergevierten in Pappkisten und auf Paletten bereitgestellt. Lieferscheine fliegen schwungvoll durch die Absperrgitter, gegen 19 Uhr, jeden Sonntagabend, will Marco Weber mit der Auslieferung fertig sein.

Das frische Gemüse aus Dithmarschen erreicht jeden Sonntag den Großmarkt in Berlin
Das frische Gemüse aus Dithmarschen erreicht jeden Sonntag den Großmarkt in Berlin

Noch vor Mitternacht gehen schließlich die Gitter der Großhändler hoch, die angelieferten Frischwaren vom Gemüse bis zu den Südfrüchten werden verkaufsgerecht aufgebaut, um fünf Uhr morgens bereits kommen die ersten Käufer. Dann ist Marco Weber, nach einem ganz frühen Frühstück, bereits mit seinem Klapprad im Fruchthof unterwegs, kassieren ist angesagt, da geht noch viel in bar, der Umfang von Webers Umhängetasche wächst sichtbar im Laufe der Runden.

Der Berufsweg des Marco Weber zu Kohl und Frischgemüse ist ein wenig ungewöhnlich, denn ursprünglich hatte der Tackesdorfer das Bäckerhandwerk erlernt, später Erziehung studiert und schließlich in einer sozialen Einrichtung gearbeitet. Eine Zeitungsanzeige war es dann, die ihn zum Gemüse lockte, ein Großhändler-Ehepaar aus Marne suchte einen Nachfolger. Marco Weber hatte zwar keine Ahnung von Kohlköpfen und Gemüse, aber den Ehrgeiz etwas Neues erfolgreich anzufangen allemal.

Der Chef lädt die Ware persönlich ab
Der Chef lädt die Ware persönlich ab

Und dieser persönliche Neubeginn war auch von Erfolg gekrönt, zwei harte Jahre zur Einarbeitung, seitdem schmeißt er die Marner Weida GmbH selbständig, zwei bis drei Tage die Woche auf dem Großmarkt in Berlin, den Rest der Zeit in Dithmarschen rund um Marne, zum Einkauf bei den Landwirten.

Die Unterschiede zwischen Webers Betriebsstätten können kaum größer als Marne und Berlin sein. Ländlich, herzlich, verbindlich, so mag man Dithmarschen charakterisieren; umtriebig, multikulturell und ein wenig schlitzohrig mag da eher für den Berliner Fruchthof gelten. Marco Weber beherrscht beide „Parketts“ perfekt, wobei ihm die eine Welt so lieb wie die andere ist.

Der Betrieb geht morgens um ein Uhr los
Der Betrieb geht morgens um ein Uhr los

„Wenn ich zum Beispiel nicht platt schnacken könnte, dann hätte ich bei den Landwirten keine gute Karten“, so Weber, und die hochwertige dithmarscher Landwirtschaft ist eben das Pfund, mit dem er in Berlin wuchern kann. Im Fruchthof hingegen begegnet er gelegentlich mediterraner Schlitzohrigkeit, da muss gehandelt werden, da muss man ans Geld kommen, dithmarscher Verlässlichkeit ist dort nicht zwingend die Handlungsmaxime.

Rund 2000 Tonnen Weißkohl, 1500 Tonnen Rotkohl und etwa 800 Tonnen Wirsing, Spitz- oder Chinakohl aus Dithmarschen landen jährlich über Webers Weida GmbH in Berliner Küchen, wobei der größte Anteil davon in türkischen Restaurants und Imbissen verarbeitet wird. „Das ist ein solides Ganzjahresgeschäft“, sagt Marco Weber, „während in deutschen Haushalten Kohl doch eher im Herbst und Winter auf den Tisch kommt.“

Marco Weber versorgt Berlin vor allem mit Weiß- und Rotkohl
Marco Weber versorgt Berlin vor allem mit Weiß- und Rotkohl

Sowohl in Berlin wie auch in Dithmarschen genießt Marco Weber den Ruf eines fairen, aber auch harten Geschäftspartners, er selber bezeichnet seinen Umstieg ins „Kohlgeschäft“ als einen Sechser im Lotto, obgleich der mit viel Nachtarbeit und Autobahnkilometer verbunden ist. Und was ihn am meisten freut: „Weida und Weber sind in Dithmarschen und Berlin gute Namen.“

Info:
Dithmarscher Kohl: Türkische Küche sorgt für Aufschwung
Rund 80 Millionen Kohlköpfe wachsen jährlich auf den Feldern in Dithmarschen. Dies ist ein Drittel der gesamten deutschen Kohlproduktion und damit das wichtigste Anbauprodukt der Landwirtschaft in dieser Region. Vor allem Weißkohl, aber auch Rotkohl und Wirsing, pflanzen die Landwirte an. Daneben werden aber auch Zuckerrüben, Getreide und Raps angebaut. Dem Kohlanbau wird in Dithmarschen eine hohe kulturelle Bedeutung beigemessen. Die Dithmarscher Kohltage sind überregional beachtete Veranstaltungen und werden gleich von zwei Kohl-Regentinnen repräsentiert.

Das fruchtbare Dithmarscher Marschenland eignet sich besonders gut zum Kohlanbau, so dass selbst in schlechten Jahren gute Erträge erbracht werden können. Durch den rauen Seewind können sich auch Schädlinge nur in geringerem Maß ausbreiten, wie in anderen landwirtschaftlichen Gebieten der Republik.

In den letzten Jahrzehnten wurde das Geschäft jedoch zunehmend schwieriger. Die Deutschen stellten ihre Essgewohnheiten um, so dass weniger Kohl in den heimischen Kochtöpfen verarbeitet wird. Erst die Etablierung der türkischen Küche, insbesondere in Deutschlands Großstädten, sorgte jedoch erneut für einen Aufschwung im Kohlanbau. Ein Döner ohne Weiß- und Rotkohlbeilage ist eben kaum vorstellbar.

Wolfgang Henze
Wolfgang Henze

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