Hamburg (wwot) – Das Meer prägte sein Leben, doch nun hat Ulrich Kroll die Brücke für immer verlassen. Vermissen wird der ehemalige Hapag-Lloyd Kapitän die See und sein Schiff im Ruhestand nicht, sagt er. Stattdessen widmet er seine Zeit einem ungewöhnlichen Hobby. Ulrich KrolL (64) begann seine Karriere bei Hapag-Lloyd am 2. August 1971 in Bremen auf dem Schulschiff „Deutschland“ mit dem Sicherheitslehrgang: Er musterte am 14. Oktober 1971 auf dem Stückgutschiff MS „Hessenstein“ an, das auf der Ostasienroute unterwegs war. Ende 2015 ging er nach über 44 Jahren in der Seefahrt in Rente. Zuletzt war Ulrich Kroll als Kapitän auf der „Glasgow Express“ (4.400 TEU) eingesetzt.
Herr Kroll, mit gerade einmal 20 Jahren sind Sie an Bord gegangen – kurz nach Ihrem Abitur in Berlin. Wie war ihre erste Reise? Haben Sie gleich Feuer gefangen für die Seefahrt?
Ehrlich gesagt nein. Ich war schon als Jugendlicher ein bisschen in der Welt herum gekommen und kannte viele Teile Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika. Insofern hatte ich einigen meiner Ausbildungskollegen etwas voraus und war vielleicht etwas abgeklärter als sie.
War die erste Reise denn enttäuschend?
Nein, überhaupt nicht, aber die richtige Begeisterung ist erst später gekommen.
Was hatte Sie denn ursprünglich daran gereizt, in die Schifffahrt zu gehen?
Es waren im Wesentlichen drei Gründe. Zum einen umgab das Leben des Seemanns damals doch noch ein exotisches Flair. Was wir damals in den 70er Jahren als einzigartig empfanden, das finden Sie heute im Laden um die Ecke: beispielsweise frische Mangos, Ananas oder Maracujas. Damals haben wir beispielsweise in Asien deutsche Äpfel gegen frische Ananas getauscht – oder leere Kunststoffkanister und Glasflaschen, die dort damals heißbegehrt waren, gegen diverse lokale Spezialitäten. Auch das ist heute kaum noch vorstellbar. Zweitens war die Arbeit in der Schifffahrt vergleichsweise gut bezahlt. Und drittens war das Leben an Bord spannend – und es gab nach der Rückkehr immer viel zu erzählen: Meine Eltern, Geschwister und Freunde waren sehr wissbegierig.
Und was war besonders belastend?
Die Kommunikation mit der Familie war unglaublich schwierig. Wir hörten manchmal wochenlang nichts voneinander. Kein Lebenszeichen. Nichts. Zuweilen haben wir dann Postbojen genutzt: In eine große Kaffeedose oder ähnliches wurde die Post gesteckt, zusammen mit Zigaretten, Spirituosen und einigen US Dollar für Porto. Die Postboje wurde verlötet und in Hafennähe zu Wasser gelassen. Dort wurde sie zumeist von Fischern geborgen – und sie haben dann unsere Post frankiert und aufgegeben. Kurios, dass eigentlich nie Post verloren ging. Heutzutage gibt es E-Mail und Internet an Bord. Zudem kann man auch aus den meisten Ländern preiswert telefonieren – mit dem Handy oder per Festnetz.
Nach einigen Jahren bei Hapag-Lloyd verließen Sie 1976 das Unternehmen, kehrten jedoch bereits vier Jahre später zurück. Warum das?
Nach dem Erwerb des Kapitänspatents suchte ich neue Herausforderungen bei einer anderen deutschen Reederei, die dann aber überraschend in Konkurs ging. Ich bewarb mich bei Hapag-Lloyd und man nahm mich gerne wieder auf. Das Unternehmen hatte damals einen herausragenden Ruf – und das hat sich ja bis heute nicht geändert. Dennoch gab es Einige, die sich gegen Hapag-Lloyd entschieden. Und das oft aus einem einfachem Grund: das Unternehmen legte damals auch im Seebetrieb großen Wert auf das äußere Erscheinungsbild seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und viele Seeleute waren kleidungsmäßig alles andere als angepasst. Uniform tragen war nicht bei jedem beliebt. Auf See gab es bis vor einigen Jahren ja noch die Uniformpflicht in den Offiziersmessen.
Was bedeutet Ihnen das Meer?
Das Meer prägte mein Leben. Das ist schwer in Worte zu fassen. Ich will es so ausdrücken: Es war zumeist eine abwechslungsreiche Herausforderung, aber immer wieder auch Frust und Arbeit am Limit.
Erzählen Sie uns mehr…
Der Mensch ist auf dem Meer noch sehr nah an der Natur. Als Nautiker nutzten wir damals zur Standortbestimmung auf See noch Sonne, Mond und Sterne – schließlich steckte die technische Navigation noch in den Kinderschuhen. Immer wieder beobachteten wir fliegende Fische, springende Delphine, Wale oder andere Spezies in Freiheit – oder aber auch wunderbare Sonnenauf- und -untergänge und die verrücktesten Wetterkapriolen, zum Beispiel wenn wir uns tagelang durch turmhohe Wellen quälten. An erholsamen Schlaf war da für die Crew kaum zu denken. Aber es gab eben auch ewig langweilige Wachen auf See oder am Anker.
Hatten Sie jemals Angst?
Nein. Aber eine Menge Respekt. Je mehr Verantwortung ich hatte, desto größer wurde mein Respekt. Denn wenn es anfangs während der Ausbildung nur um das eigene Leben ging, so hatte man später als Wachoffizier oder als Kapitän Verantwortung für alle an Bord. Das war nicht immer einfach.
Welche Häfen mochten Sie besonders?
Am liebsten war ich in La Spezia, Barcelona, Hong Kong, Vancouver, New Orleans, Mauritius, Durban, Kapstadt, Colombo, Sydney, Valparaiso und Vera Cruz. Gerade Vera Cruz war damals sehr beliebt: man hatte nämlich Liegezeiten von vier bis acht Tagen. Die Infrastruktur des Hafens war nicht besonders gut. Der einzige Containerkran war wegen Ersatzteilmangels häufig kaputt. Und der zusätzliche Mobilkran war enorm langsam. Da konnte man viele schöne Abende auf der „Plaza“ verbringen. Auch im südafrikanischen Durban lagen wir manchmal mehr als eine Woche, weil wegen heftiger Stürme nicht gearbeitet werden konnte. Und auch Häfen wie Barcelona, Vancouver Stadt, Valparaiso oder Hong Kong sind bis heute beliebt: Wenn es die Arbeitszeit erlaubt, ist man relativ schnell im Stadtzentrum. In anderen Häfen wie beispielsweise Rotterdam oder Antwerpen braucht man heute mindestens eine Stunde bis ins Stadtzentrum.
Welche Traditionen gibt es noch an Bord, die sich bis heute gehalten haben?
Spontan fällt mir da die Äquatortaufe ein. Ich hatte meine Taufe 1971 – anlässlich meiner ersten Überquerung des Äquators. Einen Tag zuvor wurde die Taufzeremonie, die schon lange im Voraus mit Akribie von der gesamten Crew vorbereitet worden war, angekündigt. Unter Mitwirkung eines Großteils der kostümierten Besatzung, wurde das Event von morgens bis zum Nachmittag, abhängig von der Anzahl der Täuflinge, durchgeführt. Nach dem Passieren der verschiedenen Stationen, wie Arzt, Pastor und Friseur wird dann getauft: der Täufling wird mehrfach in einem Wasserbecken (Pool) untergetaucht – und bekommt dann auch eine beeindruckende von Neptun und vom Kapitän signierte Taufurkunde. Diese Tradition hält sich meines Wissens bis heute – allerdings sehr abgespeckt und weniger aufwändig zelebriert. Es gibt auch Zeremonien beim Passieren des Polarkreises.
Kürzlich ging Ihre über 40-jährige Seefahrerkarriere zu Ende. Vermissen Sie die See und ihr Schiff?
Ganz ehrlich: nicht wirklich. Ich habe mich intensiv auf diese neue Lebensphase vorbereitet und blicke voller Vorfreude und Enthusiasmus nach vorn.
Und was beschäftigt Sie künftig im Ruhestand?
Meine Frau und ich werden künftig unseren Wohnsitz zwischen Bremen und Süditalien aufteilen. In der Provinz Basilicata wollen wir künftig das Dolce Vita des Südens genießen. Ich habe im vergangenen Jahr zum ersten Mal eigene Oliven geerntet und in einer nahegelegenen Ölmühle kalt pressen lassen. Dieses Mal waren es nur 40 Liter natives Bio Olivenöl Extra, aus ca. 250 Kilogramm Oliven. Ich rechne aber damit, dass ich in den nächsten Jahren den Ertrag deutlich steigern kann. Viele Verwandte und Freunde sind schon fest vorgesehene Abnehmer. Glauben Sie mir: mein Olivenöl ist eines der Besten!
Interview und Fotos wurden mit freundlicher Genehmigung dem Online-Magazin „Hapag-Lloyd Insight“ entnommen: Link
Kommentar hinterlassen